
Workuta – Nordural: Felix Wiemers in Russland
„Druschba“ und rein in den Kopf
Das Gefühl nicht aufstehen zu können, weil einem die Beine so kalt geworden sind, dass die Muskulatur um die Knie einfach nicht mehr will. Mit schmerzverzerrtem Gesicht quälen wir uns von den Rücksitzen der Sleds – den letzten Skitag unseres Trips in den eiskalten Beinen. Erleichtert stehen wir kurz später in einer unverschämt gut geheizten Garage und bekommen Russian Sushi serviert, was etwas von Fischeis hat. „Druschba“ und zack geht der erste Kurze des Abends in den Kopf – hier wird auf die Freundschaft getrunken. Während unsere Beine noch eine ganze Weile aufgrund der Aufwärmphase brennen, sorgt Russian Whiskey für ein ähnliches Gefühl in den Kehlen.
Workuta? Wo liegt das denn?
Ich war schon etwas baff als unser Russlandexperte Mathias mit dem Vorschlag um die Ecke kam unseren Trip nach Workuta zu planen, da ich nicht im Geringsten wusste, wo die Stadt liegen könnte. „Tiefstes Gulag“ wurde mir am Telefon versprochen. Davon hatte ich schon was gehört – aber ob das meine Vorfreude entflammen konnte? Gewiss ist, dass Mathias das Abenteuer liebt und wenig Berührungsängste gen Osten hat.
Unzählige Ski und Snowboardtrips in das Gebiet der ehemaligen UDSSR hat der Görlitzer schon organisiert und sich darüber ein Netz an Connetcions aufgebaut, die bei Reisen in den Osten wohl unabdingbar sind. Etwas verwirrt schlage ich Wikipedia auf – nicht viel ist hier zu lesen für eine Stadt, die in Hochzeiten über 100 000 Einwohner hatte. Kohleabbau in der Tundra mit Permafrostboden, klingt nicht nach Spaß. So waren es hauptsächlich Kriegsgefangene, die hier in Arbeitslager gesteckt wurden und nach Kohle buddeln mussten.
Noch heute ist diese Einöde wirklich bequem nur mit dem Flieger zu erreichen und das nur ein Mal die Woche. Eine Straße gibt es von Moskau nach Workuta nicht. Wir wählen den russischen Weg – die Bahn! 40 Stunden ohne Umsteigen von Moskau sitzen wir unseren Abteilen, die deutlich komfortabler sind als wir es erwartet hätten. Viel Zeit uns besser kennen zu lernen. Neben Mathias und mir begleiten uns Max Kroneck und Neil Williman als Fahrer. Neil wird von den Russen wie ein Bewohner der Tiefseestadt Atlantis gefeiert, als sie erfahren, dass er aus „New Zeelandia“ kommt. Außerdem haben wir Michi Bernshausen und Philipp Becker als Filmer mit dabei. Michi bestreitet schon die vierte Saison mit mir und es soll wiederum einen neuen Streifen aus dem Hause Midiafilm geben.
Minus 15 Grad – in kurzen Hosen und Miniröcken auf die Straße
Workuta empfängt uns nachmittags von seiner besten Seite.. Frühlingshafte Minus 15 Grad und Sonne. Das Wetter lockt die Menschen hier in kurzen Hosen und Miniröcken auf die Straße. Uns wird schnell bewusst, dass hier keiner Wert auf die Fassaden von Wohnhäusern legt. Es bröckelt überall auf den mit dickem Eis bedeckten Gehweg. Tief eingeschneite Autos, die aussehen als wären sie seit dem Sommer vergessen worden, stehen an der Straße. Es kommt die Frage auf, was die Menschen hier her treibt? Höhere Löhne und mehr Urlaub als im Schnitt dieses riesigen Landes. Doch was hat uns hier her verschlagen? Komplett flach scheint der Ort auf den ersten Blick.
Jibspots und Skifahren bei Polarlichtern am Himmel
Zwischen den Plattenbauten ergeben sich zwar Unmengen an Jibspots, wo die Jungs von Level 1 sicher ihren Spaß hätten, doch wir sind auf der Suche nach was anderem, obwohl Neil und Max einem Drop vom Hausdach nicht wiederstehen können. Wir finden noch einen interessaten Hit am Flußbett, der für jede Menge Spaß am Nachmittag gesorgt hat. Auch am Abend am lokalen Skihügel kommen wir noch auf unsere Kosten. Eine abenteuerliche Liftkonstruktion und 60 Höhenmeter klingen nicht gut, aber wirklich kalter Pulver entschädigt auch für jedes noch so kleine Skigebiet. Bei Flutlicht und Polarlichtern am Himmel gewöhnen wir uns an Skifahren in der Arktis.
Circa 60 Kilometer östlich von Workuta befindet man sich im nördlichen Teil des Urals, der Asien von Europa trennt. Der Bergfex unserer Crew, Max, hat auf Google Maps schon zeitig in Erfahrung gebracht, dass es hier einige sehr interessante Berge gibt, die zum Freeride locken. Doch 60 Kilometer Schneewüste bis zu den Bergen sind kein Pappenstiel. Unser Plan: Schneemobile leihen und ab ins Gebirge. Mathias hat hier an der verlassenen Zugstation Sob eine Unterkunft aufgetan.
Mit einer Mischung aus Vorfreude und flauem Gefühl geht es ins Bett.
6 Uhr Abfahrt mit den Sleds. Das ist absolut unstudentisch – aber ok. Wir müssen früh los, um an diesem Sonnentag noch ein paar Schwünge machen zu können. Nachdem unser Gepäck sowie Essen und Spritvorräte auf den Anhängerschlitten verstaut war, ging es los. Jeder von uns hatte einen russischen Hünen auf seinem Sled vor sich sitzen.
Bei klirrender Kälte ging es also aus Workuta in die Eiswüste.
Ewiges Flachland in drei Himmelsrichtungen, waren die Berge gen Osten optisch zum Greifen nah. Aber die Strecke zieht sich. Und bis wir den ersten Schnee unter die Ski bekamen, vergingen Stunden. Die Sledcrew probierte alles, um uns so hoch wie möglich zu befördern. In zu steilen Gelände hieß es dann aber immer wieder die Felle aufzuziehen, um unsere Peaks zu erreichen. Ein paar gute Runs sollten sich dann am ersten Tag bei Sonne noch ausgehen, bevor wir weiter zu unserer Unterkunft aufbrachen.
Etwas sparsame Blicke auf unserer Seite gab es dann schon, als wir wieder in einem Waggon untergebracht waren. Ein alter Wagen der russischen Eisenbahn dient hier als Hotel. Top beheizt mit einem kleinen Essensraum in der Front machten wir es uns gemütlich. Die russischen Sledboys hatten uns jetzt schon mal live auf den Skiern gesehen und hatten Lust auf mehr. Abgeschieden von jeglichem Handynetz lernten wir unsere neuen Freunde besser kennen. Nach ein paar Whiskey, die man irgendwann aus Höflichkeit nicht mehr ablehnen darf tauten die zunächst störrischen russischen Riesen auf. Man muss sagen, wenn man die Jungs erstmal auf seiner Seite hat, dann wachsen sie einem richtig ans Herz und zeigen eine sehr offene freundliche und hilfsbereite Seite, die wir so zunächst nicht erwartet hatten.
Die kommenden drei Tage war schlechtes Wetter angesagt, sodass wir zunächst ein abgelegenes Nomadenvolk besuchten und ihre eindrucksvolle Lebensweise erkunden durften. Dennoch war der Drang nach Bewegung da und wir hatten einige Bäume ausgekundschaftet. So fanden wir gute Spots, die auch bei schlechtem Wetter gute Action hergaben und tobten uns aus. Auch hatten wir so viele Vertrauenscredits gesammelt, dass wir auch die Sleds gelegentlich fahren durften.
Sundowner im kalten Ural
Sonne am Tag der Abreise. Schnell unser Geraffel auf den Sled und dann ab. Wie man sich den kalten Ural so vorstellt, bläst der Wind fast immer, sodass unsere ersten Hänge des Tages doch sehr verblasen waren. Wir fanden aber zum Abschluss noch zwei Runs mit bestem Schnee, um einen versöhnlichen Abschluss für uns zu kreieren, auch wenn wir immer wieder auf weitere interessante Berge geblickt haben, die wir diesmal bedingt durch das Wetter nicht geschafft haben. Es gibt also noch viel zu tun und ein Wiederkommen klingt interessant.
Nach dem letzten Run wurde das Licht dann schon sehr dunkel. Eigentlich ganz nett mit einem Sundowner aufzuhören – wäre da nicht die Heimfahrt von noch circa fünf Stunden, die ohne Sonne wirklich kein Spaß war. Man sieht in der Ferne dauerhaft die Stadt, aber sie kommt nicht näher. Die Knie werden fest durch die Kälte und wir waren wirklich happy als wir endlich in der Stadt angekommen sind.
Was nach der eiskalten Sledtour den Abend vor der Rückfahrt nach Moskau in der Garage noch passieren sollte ist ja quasi vorprogrammiert gewesen. Russian Whiskey braucht erst mal keiner von uns mehr. Unsere letzte Flasche wird dann bei einer der Midiafilm Premieren im Herbst verlost, sodass ihr auch in den Genuss kommen könnt. In jedem Fall waren wir froh noch zwei Tage im Zug ausschlafen zu können und haben viele Erinnerungen und neue Freunde im Gepäck..
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